Donald Trump hat die Wahl verloren, die Wiederholung des Desasters von 2016 hat die Mehrheit der Amerikaner knapp verhindert. Doch der Schaden wird bleiben.
Ein Kommentar von Carsten Luther
7. November 2020, 18:45 Uhr
So manches Mal hat es Donald Trump geholfen, die Realität ein wenig unverbindlicher zu sehen. "Ich habe nicht geglaubt, dass ich erledigt war, selbst als die Zeitungen das schrieben", sagte er einmal – da ging es ums Geschäft, die vielen Schulden der Neunziger, und dann sein großes Comeback. Niederlage, das Wort wollte Trump noch nie kennen, so viele er auch erlebte.(Defeat, Trump never wanted to know the word, no matter how many he experienced.这句太好笑了,句法也学习一下。)
Jetzt müssen sie es wieder schreiben: Donald Trump hat verloren. Eine zweite Amtszeit als US-Präsident wird es für ihn nicht geben. Dass er sich noch immer für den Sieger hält und Joe Bidens Triumph nicht anerkennen will, spielt keine Rolle mehr. Die Realität hat ihn eingeholt.
Noch in der Wahlnacht hatte Trump verkündet: "Ehrlich gesagt, wir haben diese Wahl gewonnen" – und wieder von Betrug und Fälschung gesprochen, er wollte vor den Supreme Court ziehen, seine Anhänger aufstacheln. In einigen Bundesstaaten will er es auf eine Neuauszählung ankommen lassen oder gegen die Auszählung vorgehen. Helfen wird ihm das nicht, dafür sind die Zahlen, die Fakten und die Rechtslage zu eindeutig. Es zieht sich womöglich ein wenig, aber das Wahlergebnis wird sehr wahrscheinlich Bestand haben: Es geht eher darum, Schlagzeilen zu produzieren, die Trump den Abschied erleichtern, als tatsächlich Justiziables zu verhandeln, das noch den Ausgang verändern würde. Sein anfänglicher Vorsprung in manchen Staaten ist nicht "auf magische Weise verschwunden", es wurde einfach weitergezählt. Demokratie eben.
Wahlsieg - Joe Biden zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt (链接里是一个视频)
Es bleibt ein Ende mit Schrecken. Dass Trump überhaupt noch den Hauch einer Chance hatte, erneut eine Wahl zu gewinnen, ist kein geringer Befund für eine demokratische Ordnung, die der Welt ein Vorbild sein will. Nach vier Jahren wird die akademische Feststellung, er sei ungeeignet für das Amt, der politischen Wirklichkeit kaum gerecht. Sein erratisch-autoritärer Nationalismus, der alle Normen sprengte, mag jedem liberalen Geist ein Graus gewesen sein – Trumps Anhänger verehren ihn genau deshalb. Fast 63 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner gaben ihm 2016 ihre Stimme, ein großer Teil und mehr hat es wieder getan. Wie konnten sie nur?
Nun, zur Demokratie gehört leider auch dies: Schlecht informierte, nicht auf das Gemeinwohl bedachte und bisweilen ignorante Wähler treffen eigennützige bis irrationale Entscheidungen, die es minderqualifizierten, egoistischen oder gar böswilligen Politikern erlauben, eine Agenda zu verfolgen, die wenigen hilft und vielen schadet. Der Trick ist für gewöhnlich, dass nichts davon auf Dauer so bleiben muss. Dafür allerdings braucht es einen fundamentalen Konsens über die Grundlagen der Demokratie: Rechtsstaat, Gewaltenteilung, am Ende der Verzicht auf die Macht.
Republikaner haben den rechten Rand lange kultiviert
Trump hat diesen Konsens von Beginn an unterwandert. Selbst nach seinem Sieg 2016 schürte er Zweifel an der Legitimität der Wahl – wie sonst sollte Hillary Clinton fast drei Millionen Stimmen mehr bekommen haben? Die Einflussversuche Russlands – für ihn eine Verschwörung der Demokraten, der Geheimdienste, der Mainstream-Medien – alles nur erfunden. Bis zuletzt war Trumps Credo: Die anderen können nur gewinnen, wenn sie betrügen; die Briefwahl ist das Tor zur Wahlfälschung; friedlicher Abgang nach einer Niederlage – kein Kommentar. Mit jeder Lüge, jedem Regelbruch ließ er das Vertrauen in die staatlichen Institutionen erodieren; nichts sollte ihn stoppen, alles seinem Willen gehorchen. Trump war ein Präsident für jene, die folgten, die er eine unglaubliche Bewegung nannte. Alle anderen: Feinde.
Die Radikalisierung der republikanischen Partei, die heute so offen zutage tritt, fand Trump bereits vor. Er gab der rechtsdrehenden Basis nur zusätzliche Kraft. Ohne diese Leute aus einer teils rassistischen, mindestens aber globalisierungsfeindlichen weißen Arbeiter- und Mittelschicht waren die Republikaner seit Jahrzehnten nicht ausgekommen: 2008 wusste sich John McCain, personifiziertes Establishment der alten Schule, nicht anders zu helfen, als gegen den Demokraten Barack Obama mit der absurden Sarah Palin als Vizekandidatin anzutreten – in der Mitte war seinerzeit für die Partei schon nicht mehr viel zu holen, auch wenn sie es 2012 mit Mitt Romney noch einmal versuchte. Die Republikaner hatten den rechten Rand lange kultiviert, so ebneten sie auch Trumps Weg an die Macht.
Trump kämpfte immer nur für sich selbst
Als ihn die Fernsehjournalistin Rona Barrett 1980 fragte, ob er Präsident der Vereinigten Staaten werden wolle, saß Trump in seinem goldprotzigen Penthouse in Manhattan und sagte noch Nein – weil das ein "sehr mieses Leben" sei. Aber auch: "Ein Mann könnte dieses Land umdrehen. Der eine richtige Präsident könnte dieses Land umdrehen."
Trump wurde dieser Mann. Er drehte alles um, was bis zu seinem Wahlsieg im November 2016 als gegeben galt: von der Art, wie ein Präsident kommuniziert und was ihm zu glauben ist, bis zum gewachsenen Gefüge der internationalen Ordnung. Er wollte Mauern bauen, zuallererst an der Grenze zu Mexiko. Die "Mörder und Vergewaltiger" sollten wegbleiben, aber auch von der globalisierten Welt schottete er das Land nach Kräften ab. Aus alten Partnern wurden Gegner. Lieber ließ er sich von Diktatoren schmeicheln, als demokratische Prozesse zu achten. Was zählte, waren Stärke und Gefolgschaft, drinnen wie draußen. Wir gegen die, und selbst dieses Wir schloss viele nicht ein – letztlich war es immer nur er selbst, für den Trump kämpfte.
Das Geld der anderen rettete Trump mehr als einmal, aus seinen Pleiten als Geschäftsmann kaufte er sich so frei, aus jedem Scheitern prahlte er sich zurück an die Spitze – irgendwie ging es immer weiter. Auch als Präsident hatte er sich selbst nie etwas vorzuwerfen, nahm kein Wort zurück, das er frühmorgens wie in tiefer Nacht in die Welt twitterte oder den johlenden Massen vor den Bühnen hinwarf. Nur Hass und Häme hatte er übrig für alle, die ihm nicht folgen wollten, die nicht zur Familie gehörten, die ihm geringer erschienen als er. Wie reich er wirklich ist, blieb immer schleierhaft. Moralisch war er immer bankrott.
Unangreifbar, solange er die Macht behielte
Das Land veränderte er in vier Jahren wie kaum jemand vor ihm. Die schmerzenden Brüche sind tiefer geworden, politisch, sozial, kulturell. Eine Steuerreform für seinesgleichen, die Gerichte vollgestopft mit Konservativen, mehr Ausbeutung statt mehr Klima- und Umweltschutz, weniger Einwanderung statt weniger Rassismus und Gewalt, arrogante Macht statt schwerfälliger Verhandlungen und Abkommen. Der destruktive Impuls, möglichst alles außer Kraft zu setzen, das auf seinen Vorgänger Barack Obama zurückgeht, drehte manchen Fortschritt zurück. Trumps egoistische Agenda tat ein Übriges.
Es war die Präsidentschaft eines Mannes, der die Konsequenzen seines Handelns selten zu spüren bekam. "Ich könnte quasi mitten auf der 5th Avenue stehen und jemanden erschießen und würde trotzdem keine Wähler verlieren", sagte er 2016 im Wahlkampf in Iowa. Im Weißen Haus stellte er sich endgültig über die Fakten und über das Gesetz.
Die republikanische Partei band er wie eine Sekte an sich, das Justizministerium verkam zum politischen Instrument. Wer nicht mitmachte, musste gehen; wo es Struktur gebraucht hätte, herrschte das Chaos; wenn es eng wurde, fand sich ein Schuldiger. Spätestens nach den für ihn folgenlosen Russland-Ermittlungen und dem gescheiterten Impeachment musste Trump glauben, dass er unangreifbar ist – solange er die Macht behielte. Wenn er der Demokratie das Vertrauen abgrub, dann weil er es konnte und musste. Bis zuletzt.
Diesmal waren es sein Sumpf und seine Verantwortung
Ob Trump die Krise ernst nahm, die ihn schließlich augenscheinlich scheitern ließ, bleibt ein Rätsel wie so vieles. Über die Gefahr der Corona-Pandemie war der Präsident früh und gut informiert, doch dem Virus wollte oder konnte er nicht mit Vernunft begegnen. Er ließ es wüten im Land, bis es selbst mehr und mehr seiner Anhänger zu verstehen begannen. Als es ihn selbst erreichte, gab er nach den ersten Behandlungen den Bezwinger und trieb seine monatelange Verharmlosung in den Exzess: "Habt keine Angst vor Covid. Lasst es nicht euer Leben bestimmen." Zu viele sahen es dann doch ganz genauso und anderes war ihnen wichtiger.
Für Trump zählte immer nur eines: gewinnen, egal wie. Und doch offenbarte sein Wahlkampf eine strategische Leere, die schon vor Wochen die Spekulation erlaubte: Will er überhaupt weiter Präsident sein, oder ist das alles nur die große Abschiedstournee? Für den vermeintlich schrumpfenden harten Kern seiner Wähler spielte er die größten Hits, suchte vor allem die eigenen Leute zu mobilisieren, nicht seine Basis zu verbreitern. Allen anderen zeigte er, dass da nichts Neues kommen würde, schon gar keine substanziellen Lösungen für die multiplen Krisen des Landes. Trumps Programm war er selbst, damit war alles gesagt, vielen hat das auch diesmal gereicht. Vor vier Jahren konnte er auf Washington, D. C., schimpfen und versprechen, den "Sumpf" trockenzulegen; diesmal war es sein Sumpf und damit seine Verantwortung – angenommen hat er sie nicht.
Was bleibt, ist ein gespaltenes, ja zerrissenes Land, dessen ethnische, soziale und kulturelle Konflikte offen wüten. In dem die Schmerzen eines fundamentalen gesellschaftlichen Umbruchs noch lange pochen werden. Die Dominanz eines weißen und konservativen Amerikas, das mit der Moderne hadert, mag mit dieser Wahl endgültig gebrochen sein. Geheilt ist damit nichts. Auf die ökonomischen Bedrohungen und akuten Gefahren der Pandemie wird Joe Biden schnell Antworten finden, sie können nur besser sein als bisher. Dass er allein das Land versöhnen wird, ist unwahrscheinlich. Nur Donald Trump – der ist endlich erledigt. Dass er die Niederlage akzeptiert: undenkbar. Das Zittern um die Demokratie wird noch eine Weile berechtigt sein.
随意菇菇搬运